Short Story

Der erste Tag

Finn hat einen neuen Job. An seinem ersten Arbeitstag sucht er seinen Chef, doch der ist verstorben. Und wo sind eigentlich seine Kollegen?

Der Chef sei verstorben, erklärte die Frau salopp. Dann starrte sie wieder auf den Monitor, ohne sich zu bewegen, ohne zu tippen und ohne zu klicken. Sie saß einfach da, saß vor dem Bildschirm und tat nichts weiter. Wie eine Schaufensterpuppe, die halbtags in diesem Büro saß und auf den Bildschirm glotzte, sonst aber bei Karstadt im Schaufenster stand, um noch ein bisschen Geld zu verdienen.

«Danke», murmelte Finn, wandte sich ab und kehrte auf den Flur zurück. Auf dem Teppich lagen Teile der Decke, Fetzen und Splitter und Geröll. Aus einem Loch rieselte weißer Staub herab. Es war ein Brummen zu hören.

Der Flur verlief schnurgerade und verlor sich weiter hinten in einem diffusen Licht. Erstaunlich wenige Türen säumten den Flur, die meisten waren geschlossen. Aus den wenigen geöffneten Büros schien gelbliches Licht. Es fiel auf den grauen Teppich.

Finn war nach langem Zögern in das erste offene Zimmer getreten. Zaghaft hatte er an die angelehnte Tür geklopft, um auf sich aufmerksam zu machen. Er hatte sich nach einigen Sekunden zusätzlich geräuspert, und es waren weitere Sekunden vergangen, bis die Schaufensterpuppe endlich aus ihrer Starre erwacht war und ihren Kopf langsam in seine Richtung gedreht hatte. Abwartend hatte sie ihn gemustert, ihre Miene hatte nichts über ihren Gemütszustand verraten. Ein leeres Gesicht, tote Augen, dezentes Make-up.

Herr Flensen wäre verstorben, hatte sie gesagt. Und mehr nicht.

Finn versuchte sich zu erinnern: Hatte ihm vielleicht jemand eine Zimmernummer gesagt und ihm damit einen Arbeitsplatz zugewiesen? Doch er erinnerte sich an keine Büronummer – man hatte ihm lediglich ein Datum und eine Uhrzeit genannt: Am 1. sollte er um 9 Uhr erscheinen. Das hatte er getan.

Am Empfang hatte er sich anmelden wollen, aber dort war niemand gewesen, also war Finn in den Fahrstuhl gestiegen und in den 20. Stock hochgefahren. Dort hatte er vor sechs Wochen sein Vorstellungsgespräch gehabt, in einem dieser Büros. Sein zukünftiger Chef hatte ihn zwei Stunden lang ausgefragt, zumindest am Anfang, dann hatte sich Herr Flensen in einem langen Monolog verloren, der von logistischen Prozessen und optimierten Warenausgängen gehandelt hatte. Flensen verhedderte sich immer wieder in seinen Sätzen, setzte neu an, unterbrach Gedankengänge und wischte schließlich alles zur Seite und meinte: «Lassen Sie sich den Ausgang zeigen.» Immerhin hatte Finn noch am selben Abend telefonisch die Zusage erhalten.


Finn seufzte und setzte seinen Irrweg fort, immer dem Licht entgegen. Endlich hörte er Stimmen: Sie kamen aus einem Raum, der sich als kleine Küche entpuppte. Dort unterhielten sich zwei Männer, mittelalt, schlank und groß, gekleidet in grauen Anzügen. Sie redeten leise miteinander, doch als Finn die Küche betrat und ihnen einen «guten Morgen» wünschte, endete ihr Gespräch abrupt. Die Männer schauten ihn kurz an, sagten jedoch nichts mehr und verließen rasch die Küche.

Finn schaute sich um: Es gab einen runden Tisch, vier Stühle und einen Kühlschrank, der leise schnurrte. Aus einem schmalen Geschirrspüler entwich ein seltsamer Geruch. Finn trat ans Fenster und schaute hinaus: Der Himmel war bleiern und es sah nach Regen aus. Unten auf dem Parkplatz parkten hunderte Autos, irgendwo auch sein kleiner Toyota.

Als Finn zwischendurch in den Flur spähte und nach links und rechts schaute, war dort niemand zu sehen. Erstaunlich still war es außerdem. Da war nur dieses Brummen.


Den Rest seines ersten Arbeitstages verbrachte er in der kleinen Küche, stöberte zwischendurch im Kühlschrank, fand dort ein Sandwich, das zwar etwas seltsam roch, aber doch appetitlich aussah. Niemand betrat die Küche, als hätte sich seine Anwesenheit herumgesprochen. Niemand huschte über den Flur, niemand ließ sich blicken.

Um 15 Uhr aß Finn das Sandwich.

Um 17 Uhr verließ er schließlich die Küche. Er lief über den Flur, betrat den Fahrstuhl und fuhr hinab. Niemand stieg zu. Der Empfang im Erdgeschoss war weiterhin unbesetzt, sodass er unbehelligt hinter den Tresen kotzen konnte.