Seltsamer Mörder
Seit Peter Seltsam mutmaßlich seine Frau umgebracht hatte, war die Stimmung im «Steinkrug» ziemlich mies. Das fand zum Beispiel Wilhelm Schmalz, der jeden Tag herkam, Kaffee trank und Geschichten erzählte. Auch Peter Seltsam kam trotz seiner Tat weiterhin täglich in den Krug und trank am Tresen sein erstes Malzbier. Später setzte er sich zu «seinen Jungs» an den großen Tisch, zu Andreas, Jens, Jochen und Günther. Dabei ignorierte Peter Seltsam, dass es nicht mehr «seine Jungs» waren. Er ignorierte außerdem, dass sie ihn ignorierten.
Peter S., der mutmaßliche Frauenmörder, war ein unerwünschter Außenseiter. Anfangs hatte er noch versucht, wenigstens einfache Gespräche mit seinen angeblichen Freunden zu beginnen: «Heiß heute, ne?»
Doch die vier Männer taten eisenhart so, als würde Peter schweigen, als wäre dieser Mann ein Geist – als wäre nicht seine Frau gestorben, sondern er.
Es treten auf: die Steinkrug-Stammgäste Helga M. Wortmann und ihr Ehemann, Wilhelm Schmalz sowie der mutmaßliche Frauenmörder und Außenseiter Peter Seltsam. Außerdem: seine «Jungs» Andreas, Jens, Jochen und Günther. Der nette Wirt heißt Jürgen Schmal (geboren 1964).
Was Peter Seltsam nicht wusste: Er hatte im Steinkrug einen echten Fan. Helga M. Wortmann fand den mutmaßlichen Mörder nicht nur attraktiv, sondern auch aufregend. Geradezu erregend fand sie die Vorstellung, dass Peter Seltsam seine Ehefrau «einfach so» ermordet hatte. Wer stört, muss weg, fand Helga. In ihrem Haus lebte im Keller ein alter Herr, bereits seit Jahren schon, und zwar war das Wilhelm Schmalz, der im Krug herumsaß, Kaffee trank und seine schlechten Geschichten erzählte.
Vor einigen Jahren hatte er Helga und ihrem Mann einen Deal vorgeschlagen: Er würde dem Ehepaar sein Haus verkaufen – zu einem äußerst günstigen Preis, quasi geschenkt. Im Gegenzug würde er ein lebenslanges Wohnrecht genießen. Helga und ihr Mann hatten sich auf den Deal eingelassen; seit ihrer Jugend hatte Helga wenig originell on einem eigenen Haus geträumt. Der Schmalz war damals schon Mitte 70 und wirkte gelblich, kränklich und zerbrechlich.
«In fünf Jahren ist der tot», hatte Helga gerufen und sich über das günstige Haus gefreut.
Jetzt war Wilhelm Schmalz fast 85 Jahre alt und wirkte lebendiger denn je. Abends schlurfte er vergnügt und angetrunken ins Wohnzimmer von Helga und ihrem Mann und setzte sich zu ihnen. Saß da, sabbelte und störte. Kommentierte und lachte. Auch in den Steinkrug kam der Schmalz liebend gern und laberte Helga und ihre Freunde mit langweiligen Geschichten voll. Er war einfach immer da, zu jeder Zeit.
Manchmal, wenn sich Helga im Gäste-WC vor ihm versteckte – in ihrem eigenen Haus! – fantasierte sie, wie Peter Seltsam als bezahlter Auftragsmörder dem Schmalz ein brutales Ende bereiten würde. Wie er ihn quälend erwürgte, mit dem Ledergürtel strangulierte oder ihn mies erstach. Wie er ihm in den Kopf schoss. Schön brutal – und Helga würde sich endlich freuen, nach Hause zu kommen.
Sie würde den Seltsam endlich einmal ansprechen, das hatte sie sich fest vorgenommen. Ich will, dass der Schmalz tot geht, dachte sie düster.
Helga war jedoch die einzige Person, die mit Seltsam reden wollte. Alle anderen Stammgäste lehnten Femizide kategorisch ab; Morde generell. Wer ein Problem im Krug hatte, löste es mit Worten. Nur selten haute einer zu, aber das war dann wegen dem Alkohol und gar nicht so ernst gemeint. Sie waren doch Freunde hier!
Nur Peter Seltsam, der störte. Jemand musste ihm das sagen und ihm ein Hausverbot erteilen.
Der Wirt konnte das nicht, das war allen klar, der Jürgen war viel zu lieb. Und das mochten sie ja an ihm: diese Warmherzigkeit. Warum er aber dem Seltsam weiterhin das Malzbier verkaufte, konnte keiner so recht verstehen. Aber so war der Jürgen nun mal. Eine gute Seele.
Vielleicht konnte ja der Schmalz was sagen, dass er den Seltsam mal zur Seite nahm. Ihm das klarmachte; ihm drohte.
Oder Helga?
Die Jungs überlegten fiebrig. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen, das war völlig klar.
«Da kommt er», flüsterte Andreas warnend, als Peter Seltsam den düsteren Gastraum betrat und sich an die Bartheke setzte. Ganz ruhig wirkte der Frauenmörder. Zufrieden, irgendwie. Als sich Helga plötzlich neben ihn hockte, schöpften die Jungs kurz Hoffnung. Doch dann sah es so aus, als würden sie sich prächtig amüsieren. Peter und Helga lachten herzlich.